Scrolldemi: Instagram und der Algorithmus

In den letzten Monaten ist mir immer mehr Kritik an Instagram zu Ohren gekommen. Freunde haben mich gefragt, ob es nicht irgendeine Möglichkeit gäbe, den Feed wieder chronologisch anzuordnen. Sie hätten nämlich festgestellt, dass sie einige Kanäle gar nicht mehr sehen würden, dafür fast nur noch ein paar wenige andere. Leider musste ich diese Frage immer verneinen. Allerdings fiel mir das Gleiche vor kurzem auch auf. Außerdem störte mich, dass ich nicht wie üblich meinen Feed durchscrollen konnte (bis ich alles angesehen hatte). Und da bin ich dann doch selbst ins Grübeln gekommen…

Auch verschiedene YouTuber sind nicht mehr so sehr von Instagram überzeugt. Jesse Driftwood hat den Eindruck, dass Instagram das “alles für jeden” sein möchte. Der Umschwung von der Foto- zur Videoplattform war für ihn zwar interessant, allerdings sieht er Instagram eher bei den schnelle Interaktionen, statt bei den 12 Minuten langen Dokumentationen. Matti Haapoja mag zwar Stories in Instagram, sie würden dem Wachstum eines Kanals aber nicht helfen. Auf Instagram sei er hauptsächlich präsent, weil er seine Social-Media-Präsenz generell diversifiziert. Für Peter McKinnon ist Instagram die wichtigste Plattform, vor allem weil er als Fotograf anfing. Allerdings ist Instagram für ihn von einem persönlichen Ort mit Freunden und Familie zu einem Ort für Arbeit geworden, er betont die kommerzielle Ausrichtung, die Instagram für ihn hat. (Quelle: Is Instagram Dead? SAVAGE Opinions from TOP Creators – YouTube)

Diese Bandbreite an Kritik zeigt, dass Instagrams Änderungen sowohl bei den Consumenten, als auch bei den genannten Erstellern nicht gut ankommen. Aber was passiert eigentlich genau bei Instagram und welche Auswirkungen wird das auf mich haben? Außerdem stelle ich mir die Frage, wie “der Algorithmus” eigentlich funktioniert.

Am 30.06.2021 hat Adam Mosseri, der “Head of Instagram”, ankündigt, dass Instagram sich mehr auf Inhaltsersteller (Creatoren), Videos, Shopping und Direktnachrichten ausrichten möchte. Inhaltsersteller sollen finanziell mehr Unterstützung beim Bestreiten ihres Lebensunterhalts erhalten. Sie sollen über eigene Shops Artikel auf ihren Kanälen anbieten können, um weiteres Einkommen zu generieren. Die Ausrichtung auf Video wird damit begründet, dass Nutzer hauptsächlich unterhalten werden möchten. Die Hauptkonkurrenz sieht Mosseri dabei in YouTube und TikTok, beides Videoplattformen. Instagram möchte somit auch mit Videos für mobile Geräte experimentieren und sich in mehreren Iterationen zu einer Videoplattform entwickeln. (Quelle: Adam Mosseri on Twitter, New ways for creators to make a living | Instagram Blog)

Subjektiv hat auch die Werbung zugenommen. Selbst gezählt scheint jeder vierte Beitrag in meinem Feed gesponsert zu sein. Ebenfalls subjektiv gesehen ist das in der Vergangenheit auch schon mal weniger gewesen. Das wäre auch nur logisch, denn irgendwie müssen die Änderungen ja auch finanziert werden. Diese subjektive Einschätzung lässt sich aber nicht wirklich durch wissenschaftliche Erhebungen oder Aussagen von Instagram be- oder widerlegen. Bekannt ist allerdings, dass der Umsatz mit Werbung bei Instagram in den letzten vier Jahren stetig steigt:

Statistic: Annual Instagram advertising revenues in the United States from 2018 to 2021 (in billion U.S. dollars) | Statista
Find more statistics at Statista

Durchschnittlich wächst der (vorhergesagte) Umsatz mit Werbung bei Instagram um 43%, für das Jahr 2020 ist ein Wachstum von ca. 46% vorhergesagt. Das ist weit über dem US-Durchschnitt mit einem Wachstum von 12,2%. Tatsächlich sagt das nichts über das Tatsächliche verhalten des Werbeaufkommens bei Instagram aus, ist aber immerhin ein Anfangsverdacht. Falls jemand das ließt und näheres weiß und am Besten eine belastbare Quelle dazu hat, darf diese:r sich gerne bei mir melden.

Das lasse ich jetzt einfach mal so stehen.

Aber was macht Instagram eigentlich, um die Akzeptanz in die Empfehlungsalgorithmen für den Feed, die Reels und das Exploretab zu erhöhen? Instagram hat einen Blog. Ursprünglich wurden dort technische Neuerungen angekündigt und Änderungen erklärt. So wurden 2017 zum Beispiel die Polls dort angekündigt. Und im Dezember 2020 eine grundlegende Erklärung für Empfehlungsalgorithmen veröffentlicht. Mit dieser Erklärung und der Veröffentlichung vom 8. Juni 2021, in der Adam Mosseri etwas Licht auf die Wirkung der tatsächlich eingesetzten Algorithmen (Plural!) wirft, kann man ein relativ gutes Verständnis dafür entwickeln, wie der eigene Feed entsteht:

Instagram sucht aus der Datenbank zuerst alle neuen Beiträge von Konten, denen man folgt. Hier könnte man jetzt einen Schlussstrich ziehen, wenn man über den chronologischen Feed reden würde. Wir reden aber über den Algorithmus und der macht da noch etwas mehr:

Er schaut sich zu jedem Beitrag und jedem Konto Informationen an. Wie gut kommt der Post bei anderen an? Wie lang ist das Video? Ist ein Ort verknüpft, der einen interessiert? Wie oft hat man mit dem Konto, das den Beitrag erstellt hat, interagiert? Mag man Beiträge von diesem Konto? Hat man schon einen Kommentar da gelassen? Mag man Beiträge dieser Art?

Das sind eine Menge Fragen, aber ein darauf optimierter Computer mit einem Programm, das ein darauf trainiertes Modell für maschinelles Lernen enthält, können diese Fragen sehr schnell so abgearbeitet werden, dass sich daraus die Reihenfolge der angezeigten Beträge ergibt. Dazu stellt das Programm Schätzungen darüber an, wie sehr man einen Betrag sehen möchte, oder eben auch nicht. Das gleiche passiert übrigens auch für Stories.

Die oben genannten Fragen werden hin und wieder bearbeitet, das heißt, es werden neue Fragen hinzugefügt oder Fragen entfernt. Daraus ergeben sich Änderungen im Verhalten der Algorithmen. Dies kann aber jederzeit passieren und hat nichts mit bestimmten Zeiträumen zu tun, für die viele Webseiten Tipps geben, um von den Algorithmen favorisiert zu werden.

Bei Reels sieht das aber etwas anders aus, weil dort Reels von allen möglichen Konten angezeigt werden, nicht nur von denen, den man folgt. Hier wird zuerst geschaut, was dir im Feed und von bereits gesehenen Reels gefallen hat. Im Hintergrund läuft bei Instagram dazu ein sogenanntes Clustering, das alle Inhalte in Kategorien ordnet. Außerdem kann man dabei die Nähe eines Beitrags zu einem anderen Beitrag feststellen. Das wird zum Beispiel gemacht, indem man sich anschaut, wo der Inhalt geographisch erstellt wurde, wer den Inhalt alles Mag, ob man mit jemandem von denen interagiert hat, und so weiter. Damit wird auch wieder eine Liste erstellt erstellt, die nach der Wahrscheinlichkeit geordnet ist, in der man einen Reel mag.

Wichtig ist aber, dass man dabei im Hinterkopf behält, dass dies immer dynamisch passiert, also in Abhängigkeit des aktuellen Verhaltens. Das heißt auch, dass sich die Empfehlungen, die man bekommt, und die Beträge, die oben stehen, beeinflussen kann. Dazu interagiert man mit anderen Inhalten, folgt neuen Konten oder entfolgt vielleicht einem Konto. Die Algorithmen berechnen ständig neu, was einem gefallen könnte.

Zum Thema Shadowbanning enthält der genannte Blogpost übrigens auch einen Absatz.

Ein Fazit kann ich dabei nur für mich selbst ziehen. Aus der Recherche für diesen Artikel habe ich gelernt, dass sich Instagram tatsächlich verändert und dass die Veränderungen noch lange nicht abgeschlossen sind. Außerdem spielt Instagram eine große Rolle in der Werbung auf Social Media, ob das aber weitere Auswirkungen auf das Nutzererlebnis hat, ist noch nicht wirklich abzuschätzen. Zu guter Letzt habe ich die Empfehlungsalgorithmen von Instagram jetzt vielleicht etwas mehr verstanden und festgestellt, dass sie keine festgeschriebenen Programme sind, sondern dynamisch und sogar anpassbar. Allerdings sind sie auch sehr komplex und vorhandene Verzerrungen können nur schwer erfasst werden.

Bei der Recherche bin ich auf die Plattform von AlgorithmWatch gestoßen, die versucht haben, diese Verzerrungen zu erfassen, dabei aber von Facebook gestoppt wurden.


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